Der Untergang Küstrins 1945

Küstrin blieb bisher von den Wirren des II. Weltkrieges weitestgehend verschont. Nur selten wurde die Stadt als Ersatzziel für Berlin von angloamerikanischen Bombern angegriffen. Der angerichtete Schaden blieb relativ gering. Ende 1944 sammelte sich die Rote Armee an der Ostgrenze des Deutschen Reiches. Hitler, als Herrführer völlig inkompetend und mit der Situation geistig überfordert, ignorierte alle Warnungen General Gehlens vor einem bevorstehenden Angriff. Am 30.Januar 1945 wurde die zu Sicherung der Reichsgrenze errichtete, jedoch nur unzureichend besetzte Festungsfront Oder-Warthe-Bogen von sowjetischen Stoßtrupps durchbrochen und am 31.Januar 1945 kam der "Schicksalskampf der deutschen Volkes" auch über die Küstriner herüber.

Am Vormittag des 31. Januar errichteten Vorausabteilungen der russischen 5. Stoßarmee 15km nördlich von Küstrin bei Kienitz einen ersten Brückenkopf an der Oder. Teile des ersten mechanisierten Gardekorps versuchten Küstrin mit 20 Panzern und Begleitinfanterie im Handstreich zu erobern. Sie drangen bis zum "Stern" vor, ehe 3 Panzer abgeschossen wurden und ein Panzer umkippte. Die Angreifer zogen sich daraufhin vor die Stadt zurück. Küstrin wurde, wie viel andere Städte auch, zur Festung erklärt, doch war die Stadt auf einen Angriff in keinster Weise vorbereitet. Es fehlte an Truppen, Ausrüstung, Verpflegung. Dadurch konnten die Forts und Zwischenfeldbauten im Vorfeld der Stadt nicht besetzt werden und dienten dem Feind nun als günstige Ausgangsbasis.
Um eine Einkesselung der Stadt zu verhindern, mußten die in den letzten Januartagen eingetroffenen kampfstarken Verbände auf dem westlichem Oderufer eingesetzt werden. Sowjetische Truppen hatten bereits das westliche Oderufer nördlich und südlich der Stadt erreicht und begannen die gebildeten Brückenköpfe auszubauen.

Im Aufgang zur Straßenbrücke über die Warthe nach Neustadt. Sichtblenden und Panzersperren aus veralteten Beutegeschützen.
Quelle: Bundesarchiv Bild 146-1971-033-41 Foto: ohne Angabe

Die Belagerung

Die alte Festungsstadt lag nun wie ein Wellenbrecher im "Strom der roten Flut". Wie Jahrhunderte zuvor sollte der Festung die Aufgabe zukommen, den Feind am Oderufer aufzuhalten und den Zugang nach Berlin zu versperren. Die Stadt war bereits vollständig eingeschlossen, als der zum Festungskommandant ernannte Generalleutnant der Waffen-SS Reinefahrt am 2. Februar in der Stadt eintraf. Umgehend wurde mit dem Bau von Verteidigungsanlagen begonnen. Um die Stadt wurden Schützengräben in drei Reihen angelegt und die Ausfallstraßen durch Panzersperren blockiert. Nach starker Artillerievorbereitung begann noch am selben Tag der deutsche Gegenangriff, in dessen Verlauf die bereits besetzte Zellstoffabrik zurückerobert werden konnte. Ein sowjetischer Vorstoß, der vom besetzten Reitwein entlang des Oderdamms geführt wurde, konnte mit Fliegerunterstützung abgewiesen werden.

Nördlich von Gorgast konnte durch die 21. Panzer-Division ein Versorgungskorridor freigekämft werden, der bis zum 20. März offen blieb. Über diesen Zugang erfolgte die Versorgung der Stadt, jedoch nur nachts, da er im Feuerbereich der sowjetischen Truppen lag.
Ein Flächenbeschuß mit sowjetischen Raketenwerfern richtete am 5. und 7. Februar erhebliche Schäden in der Neustadt an. Am 18. Februar wurde die Straßenbrücke über der Warthe durch Artilleriefeuer beschädigt, wodurch auch die Hauptwasserleitung zersört wurde. Die Altstadt konnte sich seitdem nur noch durch Pumpbrunnen mit Wasser versorgen. Einen Tag später erfolgte die Evakuierung der Zivilbevölkerung entlang der Versorgungsstraße, ohne durch sowjetische Truppen gestört zu werden.
Verstärkt durch zwei schwere Haubitenregimenter, eine Panzerbrigabe, ein Regiment Raketenwerfer und Pioniertruppen intensivierte die rote Armme ihre Angriffbemühungen. Ein für den 28. Februar geplanter Großangriff mußte jedoch wegen schlechter Wetterverhältnissse verschoben werden, doch wurde

Während der Kämpfe um den sowjetischen Brückenkopf nördlich von Küstrin (3.2.1945) befinden Panzer vom Typ "Panther" im Dorf Ortwig in ihrer Ausgangsstellung.
Quelle: Bundesarchiv Bild 183-H28153 Foto: ohne Angabe

nun die Stadt täglich durch Artillerie beschossen. Der strategisch wichtige Gutshof "Bienenhof" am Nordzipfel der Ortschaft Kietzerbusch wurde heftig umkämpft. Immer wieder griffen sowjetische Truppen diese Stellung an, mußten sich jedoch unter hohen Verlusten zurückziehen. Auch der Ortsteil Küstrin-Kietz konnte erfolgreich gegen Angriffe verteidigen. Die im Bodenkampf eingesetze 8,8cm Flak richtete großen Schaden bei den angreifenden Panzerverbänden an.
Ende Februar erreichte die Küstriner Garnison eine Verpflegungsstärke von 16800 Mann. Die 10.000 Mann aller Waffengattungen zählende kämpfende Truppe verfügte über 100 Geschütze, 30 Flugabwehrkanonen, 25 Selbstfahrlafetten und 50 Granatwerfer. Die Flanken wurden im Norden wurden durch zwei Infanteriedivisionen, im Süden durch Einheiten der Waffen-SS gesichert

Flak am Ufer der Warthe, im Hintergrund die brennende Neustadt. (7.3.1945)
Quelle: Bundesarchiv Bild 146-1990-060-02 Foto: o.A.

Von deutscher Infanterie abgeschossener sowj. Schlachtflieger
Quelle: Bundesarchiv Bild 183-J28895 Foto Hörich

Am 8. März konnten die sowjetischen Truppen nach ausgiebiger Bomben- und Artillerievorbereitung den äußeren Verteidigungsring durchbrechen und Teile der Neustadt bis zu den Warthebrücken erobern. Die Warthebrücken wurden daraufhin gesprengt. Im Norden der Stadt konnten die Verteidiger ihre Stellungen am Fort Neues Werk und der Von-Stülpnagel-Kaserne behaupten, bis sie am 12.März von sowjetischen Truppen überrannt wurden.

Nach sowjetischen Angaben wurden 3000 Soldaten getötet und 3000 gefangen genommen. Diese Zahlen dürften jedoch sehr stark übertrieben sein. Ein am nächsten Tag erfolgter Angriff auf die Altstadt wurde abgewiesen. Ab den 18. März erfolgte die planmäßige Bombardierung der ehemaligen Festungsstadt, dem ein umfassender Infanterieangriff aus allen Richtungen am 22. März folgte. Die sowjetischen Truppen konnten unter hohen Verlusten starke Geländegewinne erzielen und standen nun auf der Linie Altbleyen-Gorgast-Nordrand Kietz. Im darauf erfolgten Gegenangriff konnte der Bahnhof Golzow freigekämpft werden. Eine in der Ausgangsstellung operierende Panzerkompanie mit Tiger - und Pantherpanzern konnte insgesamt 59 Feindpanzer vernichten. Am nächsten Tag wurden die sowjetischen Angriffe unter hohen Verlusten fortgesetzt, indem unter anderem der Bahnhof Küstrin-Kietz erobert und gegen einen deutschen Gegenstoß behauptet werden konnte. In der deutschen Heeresleitung herrschte am 23.März große Uneinigkeit über das weitere Vorgehen. Hitler wollte von Frankfurt/Oder aus die Festung entsetzen und zugleich die Versorgungswege der russischen Truppen durch eine Kesselschlacht abschneiden, um so die Brückenköpfe an der Westseite der Oder zu zerschlagen. Ein Plan, der mit den vorhandenen, völlig unzureichenden Kräften zum scheitern verurteilt war. Diese Meinungsverschiedenheiten führten zur Abberufung von Generaloberst Guderian als Chef des Generalsstabes, einer der letzten fähigen Offiziere im Generalstab. Generaloberst Heinrici, Chef der Heersgruppe Weichsel konnte bei Hitler eine Abänderung des ursprünglichen Angriffsplanes erwirken. Ausgehend von den Ausgangsstellungen bei Golzow sollte jetzt nur noch der Versorgungskorridor wieder hergestellt werden.

Deutsche Infanterie beim Durchmarsch durch die Küstriner Altstadt (März 1945)
Quelle: Bundesarchiv Bild 146-1981-093-04 Foto: ohne Angabe

Die Eroberung

Nachdem das hart bedrängte Füsilier-Batailion 303 am 27.März seine Stellung bei Alt-Bleyen unter Zurücklassung der schweren Waffen räumen mußte, verstärkten die sowjetischen Truppen am nächsten Tag ihre Angriffe auf die Festung durch Schlachtflieger. Da ein Zugang zur Festung durch das Frühjahrhochwasser nur auf den schmalen Dämmen möglich waren, wurden die deutschen Stellungen zunächst durch Schlachtflieger bombartiert und anschließend von schweren 20,3cm Batterien beschossen, die in der Nähe des heutigen Kreisverkehrs nach Frankfurt aufgestellt waren.
Nach diesem Feuerüberfall begannen die Bodentruppen ihren Angriff auf die Festung. Vor dem Kietzer Tor entbrannten heftige Kämpfe, in deren Verlauf der Bahnhof Kietzer- busch mehrfach den Besitzer wechselte. Bei den deutschen Verteidigern waren nun sämtliche Reserven verbraucht. Der am nächsten Tag wiederholte sowjetische Angriff durchbrach den deutschen Widerstand und die sowjetischen Truppen konnten die Festung bis zum Schloß erstürmen. Festungskommandant Reinfarth entschloß sich am 28.März entgegen Hitlers Befehl zum Ausbruch aus der eingeschlossenen Festung.
Die Ausbruchsvorbereitungen wurden jedoch überstürzt durchgeführt, sodaß sich noch Truppen in der Altstadt befanden, als gegen 22.00Uhr die letzte Brücke gesprengt wurde.

Küstrin am 01.April 1945
Quelle: Bundesarchiv Bild 183-E0406-0022-003 Foto: ohne Angabe

Die sowjetischen Stellungen wurden in einem wilden und chaotischen Nahkampf durchbrochen und die Ausbruchstruppen konnten bis zu den eigenen Linien vordringen. Da die vordersten deutschen Truppen jedoch über den Ausbruch nicht informiert waren und zogen die Ausbruchstruppen das Sperrfeuer der eigenen Linien auf sich, wodurch erhebliche Verluste zu beklagen waren. Trotz der unkoordinierten Durchführung erreichten 1318 Mann die deutschen Stellungen.
Die in der Altstadt verbleibenen Truppen unter Hauptmann d.R. Rudolf Tamm kapitulierten am 29. März ehrenvoll vor den sowjetischen Truppen. Trotzdem wurden die in den Ruinen verbliebenen Soldaten und die etwa 200 Verwundeten des Hauptverbandspatzes gefangen genommen und erschossen.
Mit dem Fall der Festung verfügten die sowjetischen Truppen nun über einen 50km breiten und 10km tiefen Brückenkopf und hatten so eine günstige Ausgangstellung für das weitere Vorgehen geschaffen.

In den 56 Tagen der Belagerung konnte die Küstriner Garnison Zeit gewinnen, damit weitere Verteidigungsmaßnahmen durchgeführt werden konnten. Die sowjetischen Truppen mußten sich erst neu sammeln, ehe weitere Angriffe durchgeführt werden konnten. Den deutschen Truppen ermöglichte diese Kampfpause ihre Verteidigungsstellungen an den rund 10km entfernten Seelower Höhen auszubauen. Hier sollte am 16.April die letzte große Schlacht des II. Weltkrieges geführt werden.